Neue Konzepte der energetischen Gebäudesanierung – 850 Expertinnen und Experten im Austausch
Zukunft Altbau lud am 20. November zu dem renommierten Branchentreff in Stuttgart ein.
Bereits zum 26. Mal trafen sich in Stuttgart Expertinnen und Experten zum Herbstforum Altbau, um über Trends rund um die energetische Gebäudesanierung zu diskutieren. Von ethischen Fragen zu Klimagerechtigkeit über praktische Überlegungen, wie sich Häuser wirtschaftlich modernisieren lassen, bis hin zu neuen Wohnformen wie Cluster-Wohnungen: Die Vielfalt an Themen war groß. An der Veranstaltung nahmen rund 850 Interessierte aus Energieberatung, Architektur, Planung und Handwerk teil – zu gleichen Teilen vor Ort wie online. Auch Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung sowie Verbänden und Kammern besuchten die Tagung in der Stuttgarter Sparkassenakademie. Veranstaltet hat sie Zukunft Altbau, ein vom Umweltministerium Baden-Württemberg gefördertes Informationsprogramm zur energetischen Gebäudesanierung. Ministerialdirektor Michael Münter eröffnete die Veranstaltung in Vertretung für Umweltministerin Thekla Walker.
Auch in diesem Jahr bot das Herbstforum Altbau viel Stoff für intensiven Austausch innerhalb der Branche. Es gab Raum für gesellschaftliche Fragen zum Klimaschutz. Den Schwerpunkt bildeten jedoch Beiträge aus der Praxis, wie etwa Berichte über erfolgreiche Modernisierungen oder Erfahrungen mit zirkulärem Bauen. Durch das Programm führten die Moderatorin Natasha Walker und Frank Hettler als Leiter von Zukunft Altbau.
Umweltministerium: Hoher Handlungsbedarf im Gebäudebestand
Der Amtschef des Umweltministeriums Dr. Michael Münter sagte in seinem Grußwort, dass der Dreiklang von Energieeinsparung, Effizienz und Ausbau der Erneuerbaren nach wie vor entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sei – auch im Gebäudebestand, wo es weiterhin einen großen Handlungsbedarf gebe. Die kommenden Jahre seien entscheidend für den Erfolg der Wärmewende. Die Landesregierung habe daher auf dem zweiten Wärmegipfel im Land im vergangenen Oktober einen ganzen Strauß an Maßnahmen auf den Weg gebracht. Münter betonte auch, dass die Finanzierung der regionalen Energieagenturen sichergestellt werden müsse, damit die Wärmewende erfolgreich umgesetzt werden könne. Die Landesregierung werde sich dafür starkmachen.
Theorie und Praxis im Blick
In den daran anschließenden Vorträgen setzten sich die Referierenden aus verschiedenen Blickwinkeln mit den Herausforderungen der Wärmewende auseinander. Kerstin Schlögl-Flierl, Professorin für Moraltheologie an der Uni Augsburg und Mitglied des Deutschen Ethikrats, sprach zum Auftakt der Veranstaltung über Klimagerechtigkeit. Sie stellte in ihrer Rede eine Stellungnahme vor, die der Ethikrat im März 2024 veröffentlicht hat. Die Stellungnahme enthält die Forderung, Lasten und Pflichten so aufzuteilen, dass für alle die Mindestbedingungen für ein gutes und gelingendes Leben jetzt und in Zukunft erfüllt werden. Kurz gesagt: Klimahandeln müsse enkeltauglich sein.
Ronald Meyer hielt einen praxisorientierten Vortrag: Der Leipziger Bauingenieur führt „Sanierungssprints“ durch. Was erstaunlich klingt, ist für Eigentümer komfortabel: Meyer hat mehrere sanierungsreife Einfamilienhäuser innerhalb von 22 Tagen rundum modernisiert und zum energiesparenden Zuhause umgestaltet. Entscheidend dabei ist eine verlässliche Zusammenarbeit der Handwerksgewerke. Meyer forderte eine Vervierfachung der Modernisierungsquote in Deutschland und schlug Maßnahmen vor, wie Bauprozesse beschleunigt werden können, zum Beispiel durch den Einsatz digitaler Tools beim Modernisieren.
Nachhaltiges Wohnen für kleine Haushalte: Cluster-Wohnungen
Michael Prytula, Inhaber der Forschungsprofessur für ressourcenoptimiertes und klimaangepasstes Bauen in Potsdam, hat innovative Wohnkonzepte vorgestellt: Cluster-Wohnungen verbinden die Vorteile einer kleinen Privatwohnung mit der Funktionsweise einer Wohngemeinschaft und sind ein Gegenmodell zum ständig steigenden Wohnraum pro Person. Cluster-Wohnungen enthalten ein privates Bad und eine kleine Küche, werden aber gleichzeitig mit Gemeinschaftseinrichtungen wie Wohnzimmer und großzügiger Wohnküche kombiniert. Prytula betonte, dass die Verbreitung derartiger Konzepte wichtig seien für eine resiliente Stadtentwicklung. Insbesondere für alleinlebende Personen wird – bei gewahrter Privatheit – ein neues Gemeinschaftsgefühl möglich.
Zirkuläres Sanieren: Reduktion von Müll und CO2
Der Basler Architekt Oliver Seidel hat von seinen Erfahrungen beim zirkulären Bauen berichtet. Unter dem Titel „Use Re-Use“ sprach er über die Weiternutzung von Bestandsgebäuden bei gleichzeitiger Wiederverwendung von Baumaterialien anderer Gebäude. Er bezeichnete den Gebäudebestand zugleich als die größte Materialressource und deren Nutzung als klimafreundliche Vision des nachhaltigen Modernisierens. Nutzte man einmal vorhandene Materialien weiter, werde zudem der CO2-Ausstoß bei der Modernisierung reduziert. Bei einem seiner Bauprojekte in Basel haben die Beteiligten beispielsweise aus alten Holzbalken, Dämmstoffresten, falsch produzierten „Abfallfenstern“ und Blechverkleidungen eine funktionierende und optisch sehr ansprechende Fassade gebaut. Bereits 1996 hatte er eine erste „Bauteilbörse“ ins Leben gerufen. Solche Lager für gut erhaltene Baustoffe ermöglichen, diese länger im Bauzyklus zu erhalten und ihnen ein Extraleben zu schenken.
Wie sich denkmalgeschützte Gebäude modernisieren lassen
Die Vorsitzende der Architektenkammer-Gruppe Breisgau-Hochschwarzwald/Emmendingen, Cornelia Haas, hat in ihrem Beitrag dargelegt, wie auch denkmalgeschützte Gebäude wirkungsvoll saniert werden können. Die Architektin präsentierte zur Veranschaulichung preisgekrönte Projekte ihres Architekturbüros sutter3 aus Freiburg. Der Meierhof in Freiburg konnte etwa trotz gegenteiliger Aussage eines Gutachters erfolgreich baulich und energetisch modernisiert werden. Entstanden ist ein auf allen Ebenen energetisch ertüchtigtes und optisch vorbildhaftes Denkmalgebäude mit energetischem KfW-Effizienzhausstandard zwischen 70 und 85.
Bernd Gewiese, Gebäudeenergieberater und Sanierungsmanager aus Karlsruhe, stellte ein anderes Bauprojekt vor, das Vorbildcharakter hat. Dabei wurde ein Dreifamilienhaus aus dem Jahr 1976 zu einem KfW-Effizienzhaus 85 umgerüstet – und das, ohne hohe Kosten zu erzeugen. Der Fachmann tauschte die Nachtspeicherheizung gegen eine mit einer Photovoltaikanlage kombinierte Luft-Wasser-Wärmepumpe ein. Der Wärmebedarf sank von 137 auf nur mehr 21 Kilowattstunden Strom pro Quadratmeter und Jahr.
Herausforderung Mehrfamilienhaus
Der Stuttgarter Verwalter und Planer Heinrich Welker hat im Vortrag „Energieeffiziente Sanierung eines Mehrfamilienhauses mit High-Level-Anspruch und Verdichtung, die begeistert“ erklärt, wie er aus einer stark sanierungsbedürftigen Immobilie so einiges herausgeholt hat. Welker hat ein Wohnhaus aus den 1930er-Jahren zu einem Plusenergiehaus mit sieben Wohnungen auf 265 Quadratmetern umgebaut. Das Ergebnis: Modernes städtisches Wohnen auf geringer Fläche mit einem Wärmebedarf von unter zehn Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Die komplexe Modernisierung in Stuttgart-Möhringen war zwar im Vergleich teurer als eine Standardmodernisierung, rechnet sich aber nicht nur durch die erhaltenen Fördergelder, sondern auch durch die minimalen Nebenkosten und die hohe Energiepreissicherheit in der Zukunft. Sein Credo: „Wir wollen energieautarke Inseln bauen.“
Zum Abschluss der Tagung zeigten die WEG-Verwalterin Petra Hübner aus Fellbach, der Energieberater Joshua Lampe aus Ludwigsburg und der Stuttgarter Architekt Kersten Schagemann, welche Möglichkeiten komplexer Bestandsmodernisierungen es auch für Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) gibt und wie man in diesen Prozessen erfolgreich mit den beteiligten Parteien kommuniziert. WEG sind eine große Herausforderung für die Wärmewende, weil sich dahinter häufig eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichsten Interessen verbirgt. Die Modernisierungsquote in den Eigentümergemeinschaften ist daher auch deutlich geringer als im restlichen Gebäudebestand. Diese Nuss könne man aber knacken, waren sich die drei Fachleute einig. Wichtig sei vor allem eine fachkundige, verlässliche und transparente Kommunikation und ein offener Umgang mit Herausforderungen wie Kosten und Finanzierung.
Nachhaltige Fortbildung
Abgerundet wurde die Tagung in der Stuttgarter Sparkassenakademie mit einer Fachausstellung rund ums energetische Modernisieren. Während der Pausen gab es ausreichend Zeit zum Networking. Rege Diskussionen fanden noch lange nach dem offiziellen Programm beim gemeinsamen Ausklang statt. Auch dieses Jahr war das Herbstforum Altbau wieder eine nachhaltige Veranstaltung. Eine Anreise mit der Bahn, die nachhaltige Verpflegung und viele weitere Aspekte halfen dabei, konsequent Ressourcen zu schonen.
Die Präsentationen der Vorträge stehen hier: www.zukunftaltbau.de/herbstforum.
Das 27. Herbstforum Altbau findet am Donnerstag dem 20. November 2025 statt. Ort ist erneut die Sparkassenakademie in Stuttgart.