Über 70 Experten beim 4. PFAS-Forum in Rastatt – Neue Erkenntnisse und Diskussion um gesetzliche Optionen – Herausforderung für Trinkwasserversorger
Es ist kein Zufall, dass sich in Rastatt am Mittwoch (25. Juni) Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik getroffen haben, um sich über PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) auszutauschen. Schließlich setzen sich die dortigen Stadtwerke seit 13 Jahren mit den Ewigkeitschemikalien auseinander – aus eigener Betroffenheit. Seither engagieren sie sich für einen besseren Gewässerschutz, rechtliche Klarheit und technische Lösungen. Mit Erfolg, aber auch einer ernüchternden Realität: Immer mehr Wasserversorger sind von PFAS-belastetem Rohwasser betroffen; parallel dazu wächst das Wissen um die europaweiten Ausmaße der Verschmutzung ebenso wie um die Gefährdung von Mensch und Umwelt durch PFAS. Klar ist: Es besteht dringender Handlungsbedarf für die Gesetzgebung auf europäischer und nationaler Ebene. Im Raum stehen Haftungsfragen, eine Beschränkung von PFAS und eine Definition des Vorsorgeprinzips für die Wasserversorgung sowie Alternativsubstanzen für die Wirtschaft. Die novellierte Trinkwasserverordnung, die seit 2023 in Kraft ist und erstmals Grenzwerte für bestimmte PFAS-Substanzen ab Januar 2026 vor-schreibt, ist eine erste Antwort auf das Gefährdungspotenzial. Doch sie stellt auch viele Wasserversorger vor große technische wie finanzielle Herausforderungen. Kein Wunder also, dass der Einladung der Stadtwerke Rastatt zum 4. PFAS-Forum mehr als 70 Gäste aus dem ganzen Bundesgebiet gefolgt sind. Die Relevanz des Themas betonte auch die Oberbürgermeisterin der Stadt Rastatt, Monika Müller, in ihrem Grußwort.

Bildquelle: Stadtwerke Rastatt
Kein „Weiter so“
Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser des Branchenverbands Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) forderte eine PFAS-Strategie für Deutschland. Patricia Klatt und Nadja Tausche, Wissenschaftsjournalistinnen und Mitglieder der Recherchekooperation PFAS, gaben einen Überblick über PFAS-Schadensfälle in Mittelbaden und deutschlandweit. Ihre bisherigen Recherchen lassen befürchten, dass noch viel mehr Fälle ans Licht kommen werden und damit auch der gesetzliche Handlungsbedarf steigen wird. Denn schon die Behebung der heute bekannten PFAS-Fälle in Deutschland könnte bis zu 17 Milliarden Euro pro Jahr kosten, wie Szenarien ergeben haben. Professor Dr. Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) referierte über Perspektiven für den Umgang mit PFAS im Recht, insbesondere im Stoffrecht, im Wasserrecht und im Haftungsrecht. Seinen Ausführungen nach bleiben nachgeschaltete Reinigung und Sanierung auch zukünftig ein wichtiger Bereich der PFAS-Politik. Aber auch die Etablierung von kollektiven Haftungssystemen, die durch eine verursacherbezogene nichtsteuerliche Abgabe gespeist werden, sollte zu einem Baustein in der künftigen PFAS-Politik werden. Professor Dr. Martin Scheringer von der ETH Zürich gab einen Über-blick über die Verwendungen von PFAS und die damit verbundenen Belastungen für Mensch und Umwelt sowie über die Suche nach Alternativen. Er wurde als Experte zu diesem Thema auch bereits vom Bundesumweltausschuss gehört. Hier wie dort verwies er vor allem auf die gravierenden Probleme, welche durch PFAS ausgelöst worden sind – Gesundheit, Umwelt und Kosten. Das rechtfertige einen umfassenden Ansatz einer Beschränkung. Er unterstrich den Aspekt, dass PFAS aufgrund der ausnehmend langen Exposition eine ausgeprägte chronische Toxizität aufweisen würden, die zu chronischen Erkrankungen führten. Die regulatorische Risikobewertung würde diesen Effekt bisher nicht ausreichend berücksichtigen.

Bildquelle: Stadtwerke Rastatt, zum Abdruck frei
Praktische technische Lösungen für die PFAS-Entfernung im Wasserwerk wurden den Teilnehmenden von Andreas Dahlem, Sachgebietsleiter des DVGW-Technologiezentrums Wasser (TZW), erklärt. In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde eine mögliche Beschränkung von PFAS und deren Auswirkungen aus den Perspektiven von Umweltbundesamt, der Industrie, der Versicherungswirtschaft und der Wasserwirtschaft beleuchtet. Olaf Kaspryk, Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt, bedauert, dass das Wirtschaftsministerium des Landes eine Teilnahme am PFAS-Forum abgesagt hat. „Ich finde es schade, dass die Landespolitik die einmalige Chance nicht genutzt hat, die komplexe Gemengelage einer diskutierten PFAS-Beschränkung aus ihrem Blickwinkel einem Expertenkreis darzustellen. Das hätte die Diskussion um eine potenzielle PFAS-Beschränkung bereichert und die Herausforderungen sowie die notwendigen Lösungsansätze noch differenzierter abgebildet.“ Denn klar sei, egal wie das Verfahren um einen differenzierten Beschränkungsvorschlag ausgehe: Ein Weiter so sei keine Option.
EU-weite Herausforderung
Die Motivation der Stadtwerke Rastatt für ihr Engagement in Sachen PFAS lag von Anfang an darin, Geschädigte und Experten mit dem Ziel zusammenzubringen, technische Lösungen für die PFAS-Entfernung zu entwickeln, Gesetzeslücken zu schließen und so einen besseren Schutz für Mensch und Umwelt zu erwirken. So haben die Stadtwerke Rastatt durch ihre Aktivitäten auch dazu bei-getragen, dass sich die EU-Kommission mit PFAS befasst. „Dort gehört das Thema auch hin“, sagt Olaf Kaspryk und ergänzt: „Die Gefährdung für die Wasserversorgung ist grenzüberschreitend.“
Die Verwendung von bestimmten PFAS der insgesamt mehr als 10.000 Sub-stanzen umfassenden Stoffgruppe wurde von der EU bereits verboten oder ein-geschränkt, aktuell wird über einen differenzierten Beschränkungsvorschlag diskutiert. Die novellierte Trinkwasserverordnung, die im Juni 2023 in Kraft getreten ist, hat einige europäische Vorgaben, die für den Trinkwasserschutz entscheidend sind, in nationales Recht umgesetzt. Dazu zählen die Einführung eines risikobasierten Trinkwasserschutzes und die Ausweitung der chemischen Überwachung auf bestimmte PFAS in zwei Stufen: Stufe 1 der neuen Grenzwerte für PFAS gilt ab Januar 2026. Schon diese Vorgabe stellt viele Trinkwasserversorger aktuell vor große Herausforderungen, da sie bis dahin technisch in der Lage sein müssen, bei Bedarf PFAS aus dem Rohwasser zu entfernen oder die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser anderweitig sicherstellen zu können. Das bedeutet für die meisten Versorger: Sie müssen für den Fall der Fälle entsprechende Aufbereitungsanlagen in ihren Wasserwerken installiert und betriebsbereit haben.

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Expertise mit bitterem Beigeschmack
Die Stadtwerke Rastatt sind für die PFAS-Vorgaben der novellierten Trinkwasserversorgung bestens gerüstet: Sie haben ihre Wasserwerke mit hochwirksamen Filteranlagen zur Entfernung von PFAS ausgestattet; ein umfassendes PFAS-Monitoring ist installiert. Mehr noch: Inzwischen sind die Stadtwerke Rastatt mit ihrer Expertise eine gefragte Beraterin von Wasserversorgern in ganz Deutschland. Daraus resultiert auch ein von den Stadtwerken Rastatt erarbeiteter und vom BDEW herausgegebener Handlungsleitfaden für betroffene Wasserversorger. Durch ihr Engagement haben die Stadtwerke Rastatt auch eine Sensibilisierung für die Bedeutung interkommunaler Zusammenarbeit erreicht; sie selbst haben ihre Wasserversorgung zum Beispiel zusätzlich zu den Filter-anlagen mit einer Nachbarkommune vernetzt, um sich im Notfall gegenseitig helfen zu können. Bitterer Beigeschmack: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der PFAS-Verunreinigung haben die Stadtwerke Rastatt bisher schon knapp 28 Millionen Euro gekostet. Die Kosten werden bislang über den Trinkwasserpreis von den Verbraucherinnen und Verbrauchern Rastatts getragen.
Zentrale Frage „Haftung“
„Für Trinkwasser gilt der Vorsorgegrundsatz“ erläutert Olaf Kaspryk. Deswegen sollten PFAS erst gar nicht in die Umwelt gelangen. Für Altlasten dagegen gelte es zu klären, wer für die Umweltschäden aufkommen müsse: „Bis jetzt tragen Verbraucherinnen und Verbraucher die Kosten für den Aufwand, PFAS aus dem Rohwasser zu entfernen. Das finde ich nicht richtig“, sagt Olaf Kaspryk. Der Auf-wand, künftig einwandfreies Trinkwasser liefern zu können, werde angesichts der vielen Schadensfälle perspektivisch in vielen Regionen aufwendiger und da-mit teurer. Wirksame Lösungsansätze seien die Verursacherhaftung und Themenfonds. In diese Richtung plädierte auch die Mehrheit der Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Bis es jedoch so weit ist, versuchen die Stadtwerke Rastatt ihren Schaden weiter juristisch aufzuarbeiten. Allein die Zivilklage gegen den Verursacher läuft seit sechseinhalb Jahren. Im Oktober 2025 steht die nächste mündliche Verhandlung an. Im Fokus steht ein gerichtlich bestelltes Gutachten.
Mehr Hintergrundwissen und die Chronologie der PFAS-Aufarbeitung in Rastatt gibt es unter: www.stadtwerke-rastatt.de/de/tarife-produkte/wasser/pfas.php