Neue Berechnungsmethode künftig obligatorisch
Windenergieanlagen dürfen gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz bestimmte Schallgrenzwerte nicht überschreiten. Sonst erteilen die Behörden keine Genehmigung. Künftig müssen die dafür zu erstellenden Schallprognosen anders berechnet werden, da das bislang zugrundeliegende Messverfahren zu ungenau ist. Das haben Bund und Länder Ende 2017 beschlossen. Die neue, präzisere Berechnungsmethode, die zu anderen Prognoseergebnissen führen kann, fand jedoch noch nicht Eingang in die entsprechende Verwaltungsvorschrift. Dieser Umstand hat zu einer Verunsicherung bei Betreibern geführt, die vor oder inmitten von Genehmigungs- und Gerichtsverfahren stehen. Die Irritation lässt sich glücklicherweise in vielen Fällen ausräumen. Darauf weist das Beratungsunternehmen Sterr-Kölln & Partner hin.
„Betreiber von geplanten Windenergieanlagen, die einen Genehmigungsantrag einreichen, werden sich ab sofort an dem neuen ‚Interimsverfahren‘ orientieren müssen, auch wenn die aktualisierte Verwaltungsvorschrift noch nicht vorliegt“, sagt Dr. Sebastian Helmes von Sterr-Kölln & Partner. „Bei bereits laufenden Genehmigungsverfahren ist dies nicht ganz so eindeutig. Die Bundesländer handhaben dies unterschiedlich.“ Bei laufenden Gerichtsverfahren haben die Gerichte die Frage ausdrücklich offengelassen, zuletzt am 24. Januar 2018 das Verwaltungsgericht Darmstadt. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage steht noch aus, wobei sich abzeichnet, dass Übergangsgenehmigungen nach dem alten Verfahren möglich sein können. Bestandskräftig genehmigte Anlagen sind von der Neuregelung nicht betroffen.
Bodendämpfung wurde bisher überschätzt
Wo Windenergieanlagen betrieben werden sollen, befürchten Anwohner häufig unzumutbare Lärmbelästigungen. Deswegen muss jeder Anlagenbetreiber bereits im Genehmigungsverfahren eine Schallimmissionsprognose vorlegen, um den Nachweis zu erbringen, dass keine unzulässigen Schallauswirkungen zu befürchten sind. Wie genau die Berechnung einer Schallimmissionsprognose vorzunehmen ist, regelt eine Verwaltungsvorschrift, die TA Lärm. Sie verweist in ihrem Anhang auf die DIN ISO 9613-2 und dort auf das „alternative Verfahren“, bei dem auch die Bodendämpfung als schallausbreitungsmindernd berücksichtigt wird.
In den letzten Jahren wurde allerdings Kritik an diesem Verfahren laut, die sich vor allem auf den Aspekt der Bodendämpfung bezog. Die Bodendämpfung, so die Kritik, werde in diesem Berechnungsmodell überschätzt. Das alternative Verfahren, das eigentlich für Schallquellen in maximal 30 Meter Höhe entwickelt wurde, sei auf moderne Windenergieanlagen, die inzwischen wesentlich höher sind, nicht übertragbar.
Die Kritik nahm zu, als 2014 eine Studie aus Nordrhein-Westfalen („Uppenkamp-Studie“) veröffentlicht wurde, die nahe legte, dass die Bodendämpfung bei Anwendung des alternativen Verfahrens tatsächlich überschätzt worden war. Im September 2017 hat die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) den Ländern daher empfohlen, neue Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windenergieanlagen anzuwenden: Anstelle des alternativen Verfahrens soll nunmehr das „Interimsverfahren“ angewendet werden, bei dem unter anderem die Bodendämpfung nicht mehr berücksichtigt wird. Die Umweltministerkonferenz hat diese Empfehlung im November „zur Kenntnis genommen“ und damit bestätigt.
Bedeutung für aktuelle und künftige Genehmigungen
Für künftige Genehmigungsverfahren dürfte die Lage klar sein: Es sollten nur noch Schallimmissionsprognosen nach dem Interimsverfahren vorgelegt werden. „Auch wenn die TA Lärm und die entsprechende DIN-Norm nach wie vor etwas anderes vorsehen und durchaus zweifelhaft ist, ob bloße ‚Empfehlungen‘ und ‚Kenntnisnahmen‘ bereits ausreichen, um hiervon abzuweichen, ist nicht zu empfehlen, auf die Anwendung des alternativen Verfahrens zu bestehen“, rät Helmes. „Aus Betreibersicht ist diese Variante risikolos, weil Diskussionen mit den Genehmigungsbehörden und Auseinandersetzungen mit Betroffenen von vornherein vermieden werden können.“
Den Vorschlag, die „Interimsberechnung“ nur unter Vorbehalt vorzulegen, sieht Helmes skeptisch. „Entweder das Interimsverfahren wird zum unstreitigen Stand der Technik, dann geht der Vorbehalt ins Leere. Sollte stattdessen doch wieder das ‚alternative Verfahren‘ zur Anwendung kommen, hätten Anlagenbetreiber ohnehin einen Anspruch auf Entschärfung der Schallvorgaben. In beiden Varianten käme es nicht darauf an, ob der Betreiber vorher einen Vorbehalt erklärt hat, oder nicht“, so Helmes.
In laufenden Verfahren, in denen bereits eine Prognose nach dem alternativen Verfahren vorgelegt worden ist, muss man ebenfalls damit rechnen, dass die Genehmigungsbehörde die Vorlage einer neuen Prognose nach „Interimsverfahren“ fordert. Dies wird allerdings in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Während die nordrhein-westfälischen Behörden durch ministeriellen Erlass angewiesen sind, in laufenden Verfahren stets eine Neuberechnung zu verlangen, sollen ihre Kollegen in Sachsen-Anhalt davon absehen, wenn die Prognose nach alternativem Verfahren ergeben hat, dass die zulässigen Immissionsrichtwerte um 2 Dezibel Schallpegel oder mehr unterschritten werden.
Stand der Rechtsprechung
Noch nicht abschließend geklärt ist die Lage bei laufenden Gerichtsverfahren. Problematisch sind die Fälle, in denen eine Genehmigung noch vor der Empfehlung der LAI erteilt wurde, das Gericht aber erst danach über den Fall entscheidet. Hier ist das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit einem Eil-Beschluss vom 25. September 2017 (28 L 3809/17) vorgeprescht, in dem das „Interimsverfahren“ zum neuen Stand der Technik erklärt wurde, was rückwirkend die Rechtmäßigkeit der Genehmigung verneinte. Es ist nicht überraschend, dass sich Windkraftgegner nun in vielen Verfahren auf genau diese Entscheidung berufen.
Ihre Bedeutung wird gleichwohl vollkommen überschätzt. Zum einen ist der Beschluss mittlerweile gegenstandslos, weil das Verwaltungsgericht selbst nur einen Monat später einen „Abänderungsbeschluss“ erlassen hat, nachdem der Genehmigungsinhaber nachgewiesen hatte, dass auch unter Anwendung des „Interimsverfahrens“ keine unzulässigen Lärmimmissionen zu erwarten sind. Zum anderen ist die Entscheidung auch rechtlich nicht überzeugend, weil es für die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung auf die Sach- und Rechtslage im Moment der behördlichen Entscheidung ankommt und weil die TA Lärm, die ja nach wie vor unverändert auf das alternative Verfahren verweist, so lange für Behörden und Gerichte verbindlich ist, wie sie nicht durch sichere Erkenntnisfortschritte überholt ist. Hieran sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sehr hohe Anforderungen zu stellen. Dass dies bereits mit der LAI-Empfehlung eingetreten sein soll, ist zumindest zweifelhaft.
Deswegen ist dem Verwaltungsgericht Düsseldorf bislang, soweit ersichtlich, auch kein anderes Verwaltungsgericht gefolgt: So haben das Verwaltungsgericht Arnsberg (Urteil vom 17. Oktober 2017 – 4 K 2130/16), das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 17. Oktober 2017 – 8 B 11345/17) und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (3. November 2017 – 2 B 573/17) entschieden, dass noch kein neuer Stand der Technik vorliegt. Weil zumeist (wie auch im Düsseldorfer Fall) die zulässigen Immissionsrichtwerte aber ohnehin auch dann nicht überschritten werden, wenn die Bodendämpfung unberücksichtigt bleibt, haben die meisten Gerichte die Frage bislang ausdrücklich offengelassen – so beispielsweise das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (29. November 2017 – 8 B 663/17) und jüngst das Verwaltungsgericht Darmstadt (24. Januar 2018 – 6 L 180/17). Auch wenn damit eine endgültige höchstrichterliche Klärung der Frage noch aussteht, so sprechen die deutlich besseren Argumente dafür, dass „Übergangsgenehmigungen“, bei denen noch eine Schallimmissionsprognose nach dem alternativen Verfahren vorgelegt worden war, nicht bereits deswegen „rechtswidrig geworden“ sind.
Bestehende Windkraftanlagen nicht betroffen
Dieser Befund gilt umso mehr für bestandskräftig genehmigte Anlagen, weil auch das grundrechtlich geschützte Vertrauen des Anlagenbetreibers in den Bestand der Genehmigung Berücksichtigung finden muss. Zudem – und das ist praktisch noch bedeutsamer – wird sich die Frage in vielen Fällen im Ergebnis gar nicht auswirken. Regelmäßig ergeben die akustischen Messungen nach Errichtung der Anlagen, dass der Schallleistungspegel in der Realität ohnehin geringer ist, als in den Prognosen – die einen Sicherheitszuschlag enthalten müssen – angenommen.