Die Stadtwerke Bad Nauheim werden bis zu 1.000 Einwohner mit Kalter Nahwärme im größten Projekt dieser Art in Deutschland versorgen.
Im hessischen Bad Nauheim, 30 Kilometer von Frankfurts Zentrum entfernt, entsteht ein neues Stadtviertel für rund 1.000 Bewohner mit einem zukunftsweisenden Versorgungskonzept. Die Gebäude werden mit sogenannter Kalter Nahwärme beheizt oder gekühlt. Die Energie stammt aus oberflächennaher Geothermie, verteilt wird sie über ein Leitungsnetz. Das Konzept für den Standort haben die Stadtwerke Bad Nauheim ausgearbeitet; sie realisieren das Projekt auch. Die Lösung hat Charme für Bauherren: Das Versorgungspaket der Stadtwerke besteht aus Hausanschlüssen für Strom, Wasser und Wärme, Contracting von Wärmepumpe mit Speicher und einem kostenlosen Glasfaseranschluss. Optional können Gebäude mit der Kalten Nahwärme im Sommer auf natürliche Weise gekühlt werden – ohne zusätzliche Kosten. Oberflächennahe Geothermie überzeugt auch durch ihren niedrigen Primärenergiefaktor. Er liegt beim Bad Nauheimer Konzept bei 0,43. Mit dem umweltschonenden Quartierskonzept für Bad Nauheim Süd leisten die Stadtwerke einen aktiven Beitrag zur Wärmewende und zum Klimaschutz.
Vom Stadtwerk zum Lösungsanbieter
Das Projekt in Bad Nauheim Süd ist einzigartig: „Mit 400 geplanten Wohneinheiten ist das neue Quartier das größte in Deutschland, das mit Kalter Nahwärme versorgt werden wird“, sagt Stadtwerke-Chef Peter Drausnigg, „die größte Herausforderung – genügend Fläche für das Kollektorfeld zu sichern – haben wir bereits gemeistert.“ Alle Grundstücke des städtischen Baugebiets sind schon verkauft; der Fokus der Stadtwerke liegt aktuell auf der Vermarktung der Kalten Nahwärme. „Hierzu ist viel Informationsarbeit erforderlich“, erläutert der gebürtige Karlsruher. Denn: Es gibt keinen Anschlusszwang; die Lösung der Stadtwerke konkurriert mit klassischen Beheizungslösungen. Peter Drausnigg ergänzt: „Es ist uns gelungen, ein hochattraktives Paket zu schnüren, das in seinem Leistungsumfang besser und in seiner Wirtschaftlichkeit günstiger ist als vergleichbare Lösungen.“ Er geht nach dem großen Interesse an den Informationsveranstaltungen und den positiven Rückmeldungen der Teilnehmer davon aus, dass sich die überwiegende Mehrheit der Bauherren für das Stadtwerke-Angebot entscheidet. Überzeugt vom Konzept sind auch die örtlichen Banken: Sie bieten den Bauherren passende Finanzierungskredite, die extra für das Nahwärmekonzept konzipiert wurden. „Wir entwickeln uns vom klassischen Stadtwerk mit großen Schritten zum übergreifenden Lösungsanbieter. Bad Nauheim Süd ist ein Meilenstein in dieser Evolution“, skizziert Peter Drausnigg seine Strategie. Er übernahm im Juli 2016 die Geschäftsführung der Stadtwerke Bad Nauheim und baut seitdem das Unternehmen konsequent um.
Nachhaltig und innovativ
Das Versorgungskonzept für Bad Nauheim Süd ist nicht nur klimaneutral, Bauherren können damit bereits heute die Vorgaben der Energieeinsparverordnung für Neubauten ab 2020 erfüllen. „Das wirkt sich werterhaltend auf die Immobilie an sich aus und ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Nachfolgende Generationen werden dies zu schätzen wissen“, resümiert der Stadtwerke-Chef. Die Wärme für das Wohngebiet wird dem Erdreich in einer 22.000 Quadratmeter großen Kollektorfläche entzogen und über das Wärmenetz verlustfrei in die angeschlossenen Gebäude geleitet. Die Wärmepumpen müssen Bauherren nicht kaufen, sie werden im Contracting von den Stadtwerken betreut – Überwachung, Steuerung und Wartung inklusive. Individuell ergänzt werden sie durch Wärmespeicher. „Unsere Bauherren finden besonders attraktiv, dass unser Angebot modular aufgebaut ist. Wir stellen fest, dass immer mehr Menschen, die heute bauen, auf Lösungen zur zunehmenden Energieautarkie und die Mobilität der Zukunft gesteigerten Wert legen“, sagt Peter Drausnigg. Photovoltaik oder Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge bieten die Stadtwerke deshalb ebenfalls an – zum Kauf oder zum Contracting.
Digital und smart
Gesteuert wird das Nahwärmenetz von Bad Nauheim Süd über eine Energiezentrale, die im Gebiet errichtet wird. Für die Datenübertragung nutzen die Stadtwerke Lichtwellenleiter. Seit 2010 baut das Unternehmen ein flächendeckendes Glasfasernetz in der Kurstadt auf, das über die doppelte Anbindung an Backbones eine extrem hohe Verfügbarkeit aufweist. Im Anschlusspaket der Stadtwerke Bad Nauheim ist deshalb ein kostenloser Glasfaseranschluss als Fiber-to-the-Home (FTTH) enthalten. Damit ist Bad Nauheim mit seinem neuen Quartier auf dem Weg zur Smart City. Wie das aussehen kann, zeigen die Stadtwerke künftig in einem Musterhaus. Über eine App lassen sich auf dem Smartphone oder Tablet-PC dann Smart-Home-Anwendungen, Wärmepumpe, Speicher oder Lüftung steuern. „Damit erreichen wir eine große Wertschöpfungstiefe und können die Kundenbindung enorm erhöhen“, zeigt Peter Drausnigg die Vorzüge auf.
Neue Arbeitsmethoden
Planer, Techniker, Monteure und Ingenieure sowie Vertriebsmitarbeiter arbeiten im Projekt in interdisziplinären Teams zusammen und können so flexibel auf Herausforderungen im Projektverlauf reagieren. „Das Projekt verschiebt nicht nur die Grenzen, was Wohnen in Bad Nauheim bedeutet, es verändert auch die Art und Weise, wie wir als Stadtwerke arbeiten“, sagt Peter Drausnigg und fügt an: „Die agilen Arbeitstechniken, die wir anwenden, gehören in vielen Branchen schon zum Standardrepertoire des Projektmanagements. In der Energiewirtschaft sind sie eher noch die Ausnahme.“ Die Stadtwerke setzen im gesamten Projekt auf eigenes Personal, das auch für den späteren Betrieb des Netzes extra weitergebildet wird.
Über das Projekt
Die Stadtwerke Bad Nauheim errichten im Neubaugebiet Bad Nauheim Süd eine innovative Wärmeversorgung: Bei der Kalten Nahwärme wird dem Erdreich über spezielle Kollek¬toren in einer Tiefe von 1,5 bis 3 Metern Wärme entzogen. Mit Ökostrom betriebene Wärmepumpen der Stadtwerke, die an jedem Gebäude installiert werden, erhöhen die Vorlauftemperatur des Wassers von etwa 10 Grad auf rund 55 Grad. Die Kalte Nahwärme kann im Sommer auch „umgekehrt“ funktionieren. Statt zu heizen, können Gebäude damit auch auf natürliche Weise gekühlt werden, so dass die Raumwärme bis zu 7 Grad unter der jeweiligen Außentemperatur liegen kann. Im Vergleich zu klassischen Wärmeversorgungen entstehen keine Wärmeverluste. Weil die Quartierslösung der Stadtwerke im Rahmen eines Wärme-Contractings angelegt ist, gibt es weder zusätzliche Wartungs- noch Unterhaltskosten während der gesamten Vertragslaufzeit. Hinzu kommt eine Preisgarantie bis Ende 2025 für die abgenommene Wärme.