Intensive Aufbereitung von komplexem Sachverhalt durch Landgericht
Baden-Badener Richter konkretisiert bei PFC-Zivilprozess der Stadtwerke Rastatt Anforderung an Beweisführung – 13. Juni 2022 nächste Verhandlung
- Umkehr der Beweislast: Verursacher muss Ungefährlichkeit der Papierschlämme belegen
- Zeugenvernehmung bei Verhandlung am 14. März 2022
- Gutachten zur Klärung weiterer Sachverhaltsfragen steht noch aus
- Stadtwerke Rastatt weiterhin optimistisch
- Schadenersatz über 6,5 Millionen Euro und künftige Kosten aus PFC-Belastung bei Zivilklage gegen mutmaßlichen Verursacher
RASTATT/BADEN-BADEN. Am Montag (14. März) ist das Landgericht Baden-Baden ins Kloster Lichtenthal umgezogen: Dort hat es die Schadensersatzklage der Stadtwerke Rastatt gegen den mutmaßlichen Verursacher der Umweltschäden durch per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) mündlich verhandelt. Der Grund für den Ortswechsel: das große Publikums- und Medieninteresse. Denn im Raum Mittelbaden sind rund 1.200 Hektar Boden, 58 km2 Grundwasseroberfläche und 170 Millionen Kubikmeter Grundwasser mit diesem Umweltgift belastet, das zur Trinkwasserversorgung gebraucht wird – es handelt sich um einen der flächenmäßig größten Umweltskandale Deutschlands. Ursache der Umweltschäden sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verseuchte Papierschlämme, die mit Kompost vermischt viele Jahre lang auf Felder ausgebracht wurden; nach einheitlicher Auffassung der bisherigen behördlichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen durch Umweltpartner Vogel. Die Stadtwerke Rastatt haben als Wasserversorger dadurch bereits einen Schaden in Millionenhöhe erlitten. Dieses Geld wollen sie von dem Kompostunternehmer wiederhaben. „Es geht hier nicht um Schuld, sondern um die Frage, wer haftet“, stellt der klageführende Anwalt der Stadtwerke Rastatt, Dr. Dominik Greinacher, klar. Das Landgericht konkretisiert die Anforderungen an die Beweisführung im Rahmen seiner bisherigen, schriftlichen Ausführungen zur Beweislast; insbesondere erklärt der Vorsitzende, dass er die Ergebnisse der umfangreichen Sachverhaltsermittlungen durch die Umweltbehörden nicht ohne Weiteres anerkennt. Die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe der im Fall Vogel bereits ergangenen Urteile seien hier nicht eins zu eins zu übernehmen. Es ergeht der Beschluss, am 13. Juni 2022 weiter mündlich zu verhandeln. Auf die Frage des Vorsitzenden nach einer Vergleichsbereitschaft erklären beide Parteien, dass das derzeit nicht in Frage kommt.
Über 6,5 Millionen Euro Schaden durch PFC
Die Stadtwerke Rastatt sind Wasserversorger in Rastatt. Allein ihnen ist für die Sicherung der Trinkwasserversorgung bis April 2019 – dem Zeitpunkt der Klageeinreichung – ein Schaden von rund 6,5 Millionen Euro entstanden. Über diese Summe und zum Ersatz künftig entstehenden Schadens haben sie den Kompostunternehmer zivilrechtlich verklagt. Sie mussten zur Sicherung der Trinkwasserversorgung Wasserwerke stilllegen, Forschung und Entwicklung betreiben, große Filteranlagen einbauen, Verbindungsleitungen zu Nachbarkommunen bauen und ein PFC-Monitoringprogramm aufbauen, um nur einige der Maßnahmen zu nennen. Weitere Kosten fallen Jahr für Jahr an, um das PFC aus dem Grundwasser herauszufiltern, damit die Bevölkerung mit einwandfreiem Trinkwasser versorgt werden kann. „Was wir als Stadtwerke Rastatt hier betreiben, ist eine systematische Grundwassersanierung über viele Jahrzehnte“, beschreibt Olaf Kaspryk, Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt die Aufgabe.
Das Gericht hat bereits im Vorfeld der Verhandlung in ausführlichen Hinweisbeschlüssen dargelegt, dass es der Rechtsauffassung der Stadtwerke Rastatt folgt. „Die Stadtwerke Rastatt haben bewiesen, was sie zu beweisen hatten“, fasst Dominik Greinacher zusammen und fügt an: „Deshalb hat das Gericht die Beweislast umgekehrt.“ Die Stadtwerke haben detailliert vorgetragen, dass Umweltpartner Vogel Papierschlämme, also Rückstände aus Produktionsabwässern der Papierindustrie angenommen, verarbeitet und weitergegeben hat, und hierfür auch umfangreich Beweis angetreten. Sie haben durch Dokumente wie Lieferscheine und Begleitpapiere dokumentiert, dass die angenommenen, verarbeiteten und ausgebrachten Papierschlämme mit PFC verunreinigt waren; Schlämme dieser Art aus den anliefernden Papierfabriken im Murgtal und andernorts seien jedenfalls zu dieser Zeit stets oder überwiegend mit PFC verunreinigt gewesen. Dem Antrag der Stadtwerke, hierüber das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, hat das Gericht inzwischen entsprochen; es steht jedoch noch aus. In der mündlichen Verhandlung wurde ein Zeuge zur Organisation und Betriebsabläufen bei Vogel befragt. Die Befragung von wenigstens zwei weiteren Zeugen steht im Raum.
Zusatzinformation:
Poltisches Engagement zu PFC im Grundwasser 2021/22
Stadtwerken geht es um Prävention und rechtliche Klarheit
Parallel zum Fortgang des Zivilprozesses haben die Stadtwerke Rastatt – und auch andere Wasserversorger des Landkreises Rastatt und des Stadtkreises Baden-Baden – auch im Jahr 2021 immer wieder den Kontakt zur Politik gesucht. Es geht ihnen dabei um drei Dinge: 1. Prävention für die Trinkwasserversorgung durch den Rechtsrahmen und Berücksichtigung in der Gewässerbewirtschaftung, 2. rechtliche Klarheit bezüglich Haftung und Aufgabenhoheit sowie 3. Refinanzierung. Olaf Kaspryk findet es nach wie vor nicht richtig, dass er bislang gezwungen ist, die gesamten Kosten auf die Verbraucher, also Wasserkunden, umzulegen. „Sie haben das Grundwasser nicht verseucht, müssen aber die Last tragen. Das ist ungerecht“, empört er sich. Bislang haftet weder der Verursacher noch beteiligt sich das Land an den Kosten. „Diesen Zustand will ich nicht hinnehmen. Meiner Auffassung nach betreiben wir Grundwassersanierung und das ist Aufgabe des Landes“, resümiert er.
Zusätzlich müssen die Stadtwerke Rastatt die mit PFC-beladene Aktivkohle reaktivieren und entsprechend entsorgen lassen, wenn sie nicht mehr einsatzbereit ist. „Die Entsorgung eines PFC-belasteten Materials gehört ebenfalls nicht zu den Aufgaben der Wasserversorger“, fügt Olaf Kaspryk hinzu.
Regierungspräsidium berücksichtigt Stellungnahme der Stadtwerke nicht
Die Stadtwerke Rastatt halten zum Beispiel die Gewässerbewirtschaftungsplanung gemäß Wasserrahmenrichtlinie für ein zentrales Instrument bei der Bearbeitung der flächenhaften Verunreinigungen des Grundwassers in Mittelbaden. Sie besagt, dass alles, was einer guten chemischen Beschaffenheit des Wassers entgegensteht, bei der Planung grundsätzlich berücksichtigt werden muss. Die Stadtwerke Rastatt haben im Rahmen der Fortschreibung der Gewässerbewirtschaftung ausführlich Stellung zu PFC bezogen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe ist dem nicht gefolgt: In der am 21. Dezember 2021 veröffentlichten Fortschreibung des Gewässerbewirtschaftungsplans findet die flächenhafte Verunreinigung mit PFC praktisch keine Erwähnung. Dabei hat die Europäische Union (EU) Grenzwerte für PFC in ihre neue Trinkwasserverordnung aufgenommen. Von daher wäre die Berücksichtigung dieser Chemikalie auch in der Gewässerbewirtschaftungsplanung geboten. Das sieht auch die entsprechende Stelle in der EU so; ihre Sichtweise haben die Stadtwerke Rastatt schriftlich eingeholt.
Bürgermeister wenden sich mit Resolution an Landesvater Kretschmann
Auch der Besuch von Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter aus dem Umweltministerium in Berlin am 28. Juni vergangenen Jahres belegt, dass die PFC-Problematik kein rein mittelbadisches Thema ist. Nur auf Landesebene finden die Betroffenen nach wie vor wenig Gehör. So kam zum Beispiel auf die Resolution vom 4. Juni 2021, in der sich alle 17 betroffene Städte und Gemeinden erneut an Herrn Ministerpräsidenten Kretschmann gewandt haben, eine Antwort vom Umweltministerium. Diese beschränkte sich darauf, längst bekannte Positionen des Landes zu wiederholen und einen Besuch von Herrn Staatssekretär Andre Baumann anzukündigen. Dieser kam dann auch am 1. Oktober 2021 zustande. Am Ende dieses Besuches wurde vereinbart, das Gespräch auf Augenhöhe fortzusetzen. „Ich glaube bis zuletzt an den Willen für eine gemeinsame gute Lösung und ein bisschen Gerechtigkeit“, sagt Olaf Kaspryk.